Beermanns Hof in Asbeck
Von Fritz Neveling (1797-1993) im Jahre 1984 auf Tonband gesprochen
Das Dorf Asbeck umfasst in seinem Ortskern ein halbes Dutzend dicht beieinander liegender Bauernhöfe, die alle ein beträchtliches Alter aufweisen. Alle werden bereits im „Schatzbuch der Grafschaft Mark" vom Jahre 1486 aufgeführt. Ihr Ursprung liegt aber mehrere Jahrhunderte zurück. Im Jahre 1280 verkaufte der Ritter Hermann von Vaerst seine Besitzungen in Olpe bei Kürten im Bergischen, an den Grafen Adolf von Berg und erwarb im Märkischen das Gut Callenberg in Kirchende und Haus Asbeck bei Gevelsberg. Die Burg Asbeck, die am östlichen Ausgang des Dorfes gestanden haben soll, darf man wohl als Keimzelle der Asbecker Bauerschaft anehmen. In der Aufzählung von 1486 wird u. a. die Witwe Jutte Beyermann genannt. Und noch heute heißt die Besitzung „Beermanns Hof" (Beejms Huoaf). Davon soll hier ein wenig geplaudert werden. Das nach der Wetterseite beschieferte Fachwerkhaus war bis etwa 1905 mit einem Strohdach versehen, das dann, weil die Spatzen sich dort allzu sehr eingenistet hatten, grauen Falzziegeln weichen mußte. Auch der alte Schornstein, mit einer großen Steinplatte abgedeckt, die auf den vier Ecken mit dicken kugeligen Steinen beschwert war, wurde durch einen neuen Aufbau ersetzt.
Bemerkenswert ist die alte, mit Schnitzwerk versehene in der Mitte horizontal geteilte Haustür, über der ein Fenster mit verschlungenen Monogrammen ehemaliger Eigentümer auffällt. In der Diele stand früher als Vorläufer des emaillierten Küchenherdes das ovale gußeiserne „Vernüs". Auf einem Bord prangten große kupferne Schüsseln und Näpfe und blanke Messingkessel. Ich kann mich entsinnen, daß in einer Kammer ein großer Webstuhl und Spinnräder mit allem Zubehör standen, von Spinngeweben dicht eingehüllt. Wahrscheinlich sind die Gegenstände, weil vom Holzwurm befallen, später verbrannt worden. Menschen und Vieh wohnten - wie in allen westfälischen Bauernhäusern - unter einem Dach. Da der Hausboden nicht ausreichte, wurde schon einige Jahrzehnte vor 1900 eine geräumige Scheune in Ziegelfachwerk errichtet, zur Unterbringung von Heu und Getreide und auch als Ausweichstall dienend. Der heutige Kuhstall wurde 1908 an das Wohnhaus gebaut. Vorher hatte dort ein vom Haus getrennter Schweinestall aus Bruchstein gestanden, dessen Dach mit groBen Steinplatten bedeckt war. Sie waren mit langen schmiedeeisernen Nägeln befestigt. An der Südwestecke des Wohnhauses befanden sich das Bienenhaus aus Fachwerk, der Brunnen, der runde Schleifstein und ein „Bratofen", in dem im Herbst das reichliche Obst gedörrt wurde.
In der zweiten Hälfte des vorigen und noch einige wenige Jahre dieses Jahrhunderts lebten auf Beeims Huoaf Johann Caspar Hünninghaus, genannt Beermann, mit seiner Frau Lisette, ein kinderloses Ehepaar, und sein Bruder Carl (Beejms Kaal). Mit zunehmendem Alter wurde die Frage nach der Erbschaft unausweichlich. Nach einigem Hin und Her fiel die Wahl auf den Bauern Carl Hiby aus Niedergethe bei Sprockhövel, dessen Frau eine Verwandte des Ehepaares war. Der Sohn Carl, der den Hof haben sollte, mußte aber erst Soldat werden. Daher übernahmen meine Eltern vorläufig die Bewirtschaftung von einem Teil des Hofes, während die Weide- und Wiesenwirtschaft durch Auftrieb von Mastkühen von der Gethe aus betrieben wurde. Nach Ableistung des Militärdienstes heiratete der junge Carl die Asbecker Nachbarin Emma Nölle und begann 1908 als Bauer auf Beejms Huoaf. Er brachte ordentlich Schwung in die Asbecker Landwirtschaft. Während der Erbonkel Hans-Caspar und auch Tante Lisette schon mehrere Jahre in der Familiengruft auf dem Volmarsteiner Friedhof ruhten, lebte Öhme Carl noch etwa zehn Jahre. Folgende Anekdoten werden erzählt: In einem der beiden Miethäuser auf dem Hofe, das bis zu seinem Abbruch noch mit einem Strohdach bedeckt war, wohnte früher eine Näherin, die die Kleider noch „von Hand" nähte. Nun wollte sie eine Nähmaschine anschaffen, die ja ursprünglich durch ein kleines Schwungrad mit der Hand in Bewegung gehalten wurde. Erst später kam die Tretvorrichtung auf. Das Vorhaben seiner Mieterin kam dem alten Johann Caspar Hünninghaus, gen. Beermann, zu Ohren. Seine augenblickliche Reaktion: „A watt, a watt! Eck well dä Dämperigge op'm Huoaf nich hewwen“. Er konnte sich die Maschine nur mit Dampf betrieben vorstellen.
Ein Original war der Junggeselle Carl Hünninghaus (Hünkus oder Beejms Kaal). Er lebte als Öhme auf dem Hofe und ersetzte wohl einen Knecht. Als Düsseldorfer Ulan hatte er 1848 bei der Niederkämpfung der Revolution „in'ne Ratinger Muen (Mauern)“ sein Gehör verloren, als in seier Nähe eine Kanone losging. „Et rappelde un dämpede" wusste er zu berichten. Interessant wurde es, wenn er und ein Veteran von 1870/71, der bei Weißenburg, Wörth und Spichern dabei war, sich stritten, wer am meisten „mitgemacht"hatte. Während Hans-Casper von mittlerem, untersetztem Wuchs war, kann man seinen Bruder Carl als groß und schlank bezeichnen. Nach seinem Aussehen verglich meine Mutter ihn mit dem „Alten Fritz“. Eine Fotografie der beiden gibt es leider nicht. Es galt noch als Luxus, sich „abnehmen" zu lassen. Der alte Carl trug meist eine Hose aus deftigem Ripssamt (Manchester) und eine hellblaue Leinenjacke, darunter eine Weste. Obwohl schon das schwarzseidene Vorhemdchen in Mode war, trug er um den Hals entweder ein rotes Leinentuch oder ein schwarzes Seidentuch. Den Kopf zierte die schwarzseidene Kappe, deren Form man wohl auf die Kopfbedeckung der Lützower Jäger zurückführt. Er war immer glatt rasiert, trug weder Kinn- noch Lippenbart. Nach einem Vesper-Schinkenbrot machte er sich täglich auf den Weg über den Bach und die Viehweide, der Iserbecke zu. Nie vergaß er seine Wispel, den von unten nach oben verjüngenden Handstock, unten mit einem in Messing gefassten Eisenkegel bewehrt und oben mit einem schwarzen K(n)opf zum Festhalten und Aufstützen versehen. Im oberen Teil führte durch eine Durchbohrung eine Lederschlinge, mit der man am Handgelenk den Stock trug, der nicht nur als Stütze, sondern auch gegebenenfalls der Verteidigung diente. Nach einigen Schnäpsen und lauter Unterhaltung mit Theodor oder August Liebrecht ging es hinauf zum Sonnenschein zu Mathilde Hochstrate und dann wieder hinunter ins Dorf zu Karl Bastian. Spät kehrte er manchmal heim, nur selten hatte er „zu tief ins Glas geguckt“. Dann führte er wohl laute oder auch stumme Selbstgespräche und erfreute sich seines Reichtums. „Eene fiftigdosend Mark, eene ganze Kaa vull Geld“, hörte man ihn dann wohl sagen. Ja, die Hünninghaus, gen. Beermann, müssen reiche Leute gewesen sein; aber wenn einer Beejms Karl etwas zudringlich um tausend Mark anhielt, dann war er nicht nur schwerhörig, sondern völlig taub.
„Wat sjest du doa?“ gab er dann zurück, und schließlich: „Aoch Käjl, eck kann die nich verstoahn“. Als meine Mutter sich einmal sein Fluchen verbat, erwiderte er: „Eck flauke doch nich, eck raupe bloß usen Herrguott aan“. Wenn er stark erkältet war und Fieber hatte, sagte er zu meiner Mutter: „Guste, kuoack mi ‘n Selwe (Salbe), eck freise at ‘n Rüen (Hund)“.
Beejms Kaal war ein tüchtiger Imker. Seine Immen gingen ihm über alles. Das eigens für ihn erbaute Fachwerk-Bienenhaus konnte wohl fünfzig Völker beherbergen. Die kugeligen Körbe flocht er selbst kunstvoll aus ringförmig zusammengelegtem Stroh, das er durch Peddigrohr verband.
Die Beuten in Kastenform mochte er nicht. „Es nix, es nix“, bemerkte er dazu im Gespräch mit einem anderen Imker. Viel Wachsamkeit und Arbeit erforderte die Zeit des Schwärmens. Selten wurde er von einer Biene gestochen. Er ließ sie, wenn sie mit Nektar und Pollen beladen heimkehrten, über seine Hand laufen und sagte zu uns Kindern: „Sä dauk di nix“. Aber wir getrauten uns doch nicht, weil wir schon einmal unangenehme Bekanntschaft mit ihnen gemacht hatten.
Eine Schleuder besaß unser Imker noch nicht. Mit einer „Prahme“ wurde der Honig aus den Waben gepresst und in Gläser gefüllt. Während dieser Tätigkeit trat ein Kunde herein, um Honig zu kaufen. Der Imker hatte die Waage nicht zur Hand. Aber er wusste sich zu helfen. In die eine Hand nahm er das Gewichtsstück, mit der anderen hielt er das Glas mit Honig, machte die wägende Bewegung und und stellte fest: „Stemmt, es ‘n Pund“. Ja, man muss sich nur zu helfen wissen.